Freitag, 24. Juni 2011

Gedanken über ein Land

Den folgenden Text schrieb ich in einem Forum, im Juni 2011.
Das war wohl schwere Kost, die Resonanz blieb fast komplett aus.
Ich stelle ihn hier ein, um ihn auch auf diese Weise zu erhalten.


Ich dringe immer tiefer in das normale Leben des Landes ein, und da bleibt der Humor immer öfter im Halse stecken.

Wenn ich nun anderswo lese, daß es „da bei Euch“ rolleyes.gif in Europa immer wieder gaaaaanz wichtige  Probleme gibt, so kriege ich ein zwiespältiges Empfinden zu dem, was ich von hier aus an „wichtigen“ Informationen verbreite.
Ich betone ausdrücklich, daß ich damit niemand persönlich anspreche oder kritisiere, das liegt mir fern.
Aber die Blickwinkel verschieben sich, und zwar naturgemäß bei mir.


Deshalb, oder gerade trotzdem, hier noch ein paar weniger fröhliche Bilder und Gedanken zum Wochenende. Seit einiger Zeit geistern durch die Finanzwelt Begriffe wie „Schweiz Asiens“ oder „neues Saudi-Arabien“ als Synonym für die Mongolei.

Die so was unbedarft schreiben, sind entweder Schwätzer, und/oder Ignoranten der Verhältnisse und/oder falsche Propheten.

Denn den Unterschied zur Schweiz oder Saudi-Arabien macht wohl auch aus, wie es dem „gemeinen Volk“ geht.
Die internationalen Großkonzerne pfeifen meist drauf, was mit den rund drei Millionen Mongolen wird, Hauptsache die Rendite stimmt.
Der Reichtum des Landes liegt unter der Erde, und alle Hyänen der Wirtschaftswelt stürzen sich nun drauf, um die besten Stücke zu ergattern.
Und die paar Politiker in dem großen Land mit dem kleinen Volk sind inzwischen so ziemlich alle in dem System integriert, kümmern sich, daß es ihnen nur ja gut geht, und sie dafür die richtigen Entscheidungen treffen, wenn sie im Wahlkarussell mal wieder an die Hebel der Macht gebracht werden.

Die Mongolei wird wohl das einzige Land der Welt sein, wo an einem Regierungsgebäude eine „Coca Cola“-Reklame prangt. Und zwar deswegen, weil einer obersten Bosse in der Regierung auch die Markenrechte für das Land hält.

Am 1.Juni, als Internationaler Tag des Kindes in der Mongolei ein Staatsfeiertag, machte ich diese Aufnahme mit dem Handy an meiner Baustelle:



Das ist ein Junge von vielleicht 8 Jahren, der als Müllsammler entweder sich selbst oder auch seine Familie ernährt. Jede gefundene Plastik-Flasche bringt ihm bei der Aufkäufer-Mafia etwas Geld. Diese windigen Geschäftemacher wiederum verscherbeln das Material nach China, wo daraus billige Klamotten für Europa gemacht werden.
Solche wie ihn gibt es in Ulaanbaatar zigtausende, von Jung bis Alt, sie kämpfen jeden Tag ums nackte Überleben.

So wie auch er:


Er sammelt Holz und Bierflaschen, denn auf die Flaschen gibt es keinen Pfand, wie wir es in Europa kennen. Sie werden einfach weggeworfen.
Auch Holz sammelt er, damit man er Winter was zum Heizen hat in der Jurte oder der Blechbude.


Wer gar kein zuhause hat, und/oder dem Alkohol restlos verfallen ist, der sucht sich dann solch eine Bleibe auf Zeit:

Aufgenommen am Rande meiner Baustelle unter einem Balkon.
Der Mensch hat noch nicht einmal Schuhe, sondern läuft in löchrigen Strümpfen.
Wie es ihm im Winter geht, daran mag ich nicht denken.

Und dazu kommen für mich Erlebnisse mit solchen Leuten, wie dem pensionierten Offizier, der mit seinen Orden am verblichenen Jackett auf der Straße mit einer Personen-Waage versucht, sich ein paar Tugrik als Zubrot zu seiner schmalen Rente zu verdienen. Einmal wiegen kostet 6 Euro-Cent ...................


Nicht weit weg sitzt eine Oma mit zwei Kleinkindern in erbärmlicher Kleidung, und die beiden Kinder singen bis zur Erschöpfung irgendwelche Volkslieder, um von Passanten ein wenig Kleingeld zu erbetteln.
Fotografieren kann ich sowas aus der Nähe nicht, das bringe ich nicht übers Herz.. 

Im Lande findet seit Jahren eine dramatische Bevölkerungsbewegung statt:
Die Zuwachsraten der Bevölkerung von Ulaanbaatar speisen sich zu 11 Prozent aus Geburten, und zu 89 Prozent aus Landflucht.
Das sagt meine Stieftochter, sie arbeitet in der Stadtverwaltung von Ulaanbaatar.
Warum ist das aber so ?

Die Mongolei war bekanntlich die zweite Volksrepublik der Welt.
Trotz aller stalinistischen Fehler und Mißentwicklungen war sie bis 1990 eine relativ solide Volkswirtschaft. Die Viehzucht war organisiert und geplant, die städtische Bevölkerung sozialisiert.
Was produziert wurde, fand Absatz im eigenen Land und im RGW, im Gegenzug lieferten dessen Mitgliedsstaaten notwendige Waren und Techniken.
Die Hauptstadt hatte 1990 rund 600 000 Einwohner und war grün und sauber.
Der Rest der Einwohner, damals also rund 2 Millionen, lebte überwiegend als Viehzüchter.
Die bis 1990 erfolgreich praktizierte planmäßige Verwaltung dieses Landes ist danach ziemlich zusammengebrochen.
Einschließlich der verschiedenen Produktionszweige, die plötzlich nicht mehr konkurrenzfähig waren und/oder ihre Absatzmärkte über Nacht verloren. (Die DDR läßt grüßen)
Unter der Losung von „Freiheit und Demokratie“ machte ab da eigentlich jeder, was er will.
Das Land außerhalb der Städte gehört ja traditionsgemäß allen.
So gingen die neuen Arbeitslosen aus der Stadt aufs Land, um sich mit ein paar Tieren über Wasser zu halten.
Deren Zahl reichte aber nicht für rentables Arbeiten, außerdem kommen in den extrem strengen Wintern regelmäßig Hunderttausende Tiere um.

Während es früher üblich war, in den Kolchosen Futterreserven mit Heu für den Winter anzulegen, kann das heute jedoch niemand mehr. Denn jeder darf da weiden lassen, wo es ihm gefällt.
Gras stehen lassen zur Heumahd geht also nicht. Jemand kommt und seine Tiere weiden es ab. Oder man hat Beziehungen und Einfluß in den regionalen Behörden und kann sich so ein paar Flächen reservieren.
Die tierärztliche Versorgung ist nun auch marktwirtschaftlich organisiert.
Das heißt, die kann sich nur leisten, wer Geld hat.
Der kleine Viehzüchter bleibt auf der Strecke. Da seine Tiere von Parasiten befallen werden, kann er keine Häute für die Lederherstellung verkaufen, da sie Löcher haben.
Die Qualität von Milch und anderen Erzeugnissen reicht in der Regel nicht, um als Lieferant für die verarbeitende Industrie in Frage zu kommen.

Früher waren die Haltung der Nutztiere und deren Anzahl klar nach dem Anspruch der Nomaden geregelt.
Heute ist das Halten von Kaschmir-Ziegen besonders lukrativ, Schafe und andere Nutztiere sind weniger interessant.
Während Schafe, Pferde, Kühe, Kamele und Yaks nur die oberirdischen Pflanzen abweiden und auch Unkräuter, ziehen die Ziegen die gesamte Pflanze aus dem Boden. Eine Folge ist die Bodenerosion, die mit dem Klimawandel zu einer weiteren Ausbreitung der Wüsten führt.

Hinzu kommt die ständig weniger werdende Weidefläche durch den ausufernden Bergbau.
Der bringt es mit sich, daß auch entfernter liegende Flächen durch verschmutzte oder umgeleitete Flüsse nicht mehr als Weideland zur Verfügung stehen.

Durch den Klimawandel bedingt, gibt es weniger dauerhaften Regen, dafür kurze und extrem kräftige Unwetter.
Somit fließt das meiste Wasser ab, anstatt langsam in das Grundwasser einzusickern.
Dessen Pegel sinkt beständig, auch weil die extensive Tierhaltung immer mehr Brunnen erfordert.

So kehrt sich also die Stadtflucht Anfang der neunziger Jahre um zur Landflucht von heute.

Daran wiederum erstickt fast die Hauptstadt.
Deren Probleme explodieren geradezu. Die gesamte Infrastruktur für einen ungehemmt wachsenden Jurten-Gürtel zu schaffen, ist schlicht unmöglich.
Kanalisation und Wasserversorgung existieren dort kaum, Elektrizitätsnetze sind Provisorien, die regelmäßig zusammenbrechen.
Für die Bebauung werden zunehmend auch Gebiete genutzt, die früher tabu waren, z.B. an Friedhöfen oder in den Schmelzwasserkanälen, die fast das ganze Jahr trocken sind, aber eben nur „fast“.
Da hat es diese Woche beim Dauerregen vierzig Jurten weggerissen.
Die Familien bekamen vom Bürgermeister je rund 80 Euro mit der Bemerkung, daß er für sie nicht mehr tun könne, da sie ja eh illegal in diesem Gebiet siedeln.

Dazu kommt, daß die Zuwanderer ihren Nomaden-Lebensstil in die Hauptstadt bringen.
Das bedeutet, daß Verkehrsregeln nicht gelten, sich zu Fuß der Weg gebahnt wird auf der kürzesten Linie ohne Rücksicht auf Grünflächen, geheizt wird mit Allem, was warm macht, Müll fallengelassen wird, kurzum, die Hauptstadt versteppt.

Nun agieren in diesem Feld zahlreiche Organisationen aus aller Welt.
Die Japaner zum Beispiel haben zahlreiche Müllfahrzeuge gespendet, um diesem Problem ein wenig Herr zu werden.
Aber auch Deutschland ist aktiv.
Ich hatte seit Anfang des Jahres Kontakt zu solchen deutschen Organisationen, die staatlich betrieben werden. Die Höflichkeit verbietet mir, ihre Namen zu nennen.
Mein Eindruck ist jedenfalls, daß sich eine Unzahl von Leuten auf Staatskosten mit Buschzulage hier beschäftigen, ohne daß Nennenswertes rauskommt.

Da wurde zum Beispiel als Projekt ein neuer Ofen für die Jurten entwickelt, um den Winter-Smog zu verringern.
Mit dem Ergebnis, daß es gar nicht möglich ist, die für dessen Bau erforderlichen Schamotte-Steine im Lande zu erzeugen. Heute werden neuartige Jurten-Öfen zu guten Preisen aus der Türkei importiert. Dumm gelaufen für die deutsche Entwicklungshilfe.
…………….Die so überhaupt erst nötig ist, seit „Freiheit und Demokratie“ Einzug hielten in diesem Lande…...

Das Alles schrieb ich so ausführlich auf, um vielleicht von Verfechtern der freiheitlichen Marktwirtschaft, oder wie das Konstrukt sonst heißt, ein paar Tips zu bekommen, was hier schief läuft und anders werden muß, bzw. wie das gehen kann.

Mal so richtig als Praxis-Übung, anstatt sich weiterhin in Verfassungs-Vergleichen und historischen Betrachtungen zu profilieren …….rolleyes.gif

Damit will ich die anderen Themen nicht verurteilen, nur einen Ansatz bieten für eine etwas anders gelagerte Diskussion. Denn wir werden als Bewohner der „Alten Welt“ wohl immer mehr mit solchen Fragen konfrontiert, auf die es Lösungen zu finden gilt.

2 Kommentare:

  1. Der Osten interessierte mich schon immer, u.a. die Mongolei. Zwar schätzte ich die Verhältnisse schon so ein, wie von Dir beschrieben, trotzdem: Deinen o.g. Text zu lesen benötigt imho starke Nerven *heul* oder gar keine? :-(

    /"Wenn ich nun anderswo lese, daß es „da bei Euch“ rolleyes.gif in Europa immer wieder gaaaaanz wichtige Probleme gibt,[...]/"
    ja, genau, hier will keiner wissen, wie Leben im Rest der Welt geht. Mein Ältester war 3 Monate in Belgien - nein, kein Urlaub, rabotten - das ist schon ein Unterschied zur BRD, z.B. Lebensmittelpreise + 30% ... (wobei das eher korrekte Preise sind, falls da auch 'was beim Erzeuger ankommt).

    Aber, wo Trauer ist, da ist auch der Trost: Es geht voran, mit dem BIP, in der Mongolei ... und vllt. wird das ja auch 'mal 'ne "marktkonforme Demokratie"? ;-)

    Wünsch' Dir trotz allem eine gute Zeit!

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  2. Richtig, Vogel,
    der Trost ist auch, daß man mit Ende 50 das Vergnügen hat, sich mit Arbeit austoben zu können.
    Es sind keine Reichtümer anzuhäufen, jedoch man kann leben und was noch Wichtiger ist:
    Man fühlt sich gut dabei.

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